Das Entscheidungs-Paradoxon verstehen und Zeit sparen

von Basti  

Dezember 2, 2017

„Ich wollte nur mal schnell einen Zeitungsartikel für den Einstieg suchen, plötzlich waren zwei Stunden rum und ich habe doch den Artikel vom Anfang genommen.“ Es ist oft unheimlich schwer, sich bei den vielen verschiedenen Möglichkeiten, eine Thematik anzugehen, für die richtige zu entscheiden.  Viele Lehrer kennen dieses Problem. Interessanterweise ist das Phänomen aber auch im Marketing bekannt und zwar unter dem Namen „paradox of choice“. In diesem Artikel erkläre ich dir, was dieses Entscheidungs-Paradoxon mit uns Lehrern zu tun hat und wie du dir Zeit und Stress ersparen kannst, indem du dich dagegen schützt.

Was ist das „Entscheidungs-Paradoxon“

Das Entscheidungs-Paradoxon, zu englisch „paradox of choice“, geht zurück auf den amerikanischen Psychologen Barry Schwartz und besagt, dass viele Entscheidungsmöglichkeiten das Leben nicht gerade vereinfachen. Im Gegenteil kann uns eine größere Auswahl sogar unglücklicher stimmen. Sehr anschaulich wird dieser Prozess im FAZ-Artikel „Die Qual der Marmeladenwahl“ (ein sehr schöner Titel, wie ich finde) erläutert.

Bei der dort genannten Studie wurden potentielle Käufer einmal mit einer Auswahl von 6 Marmeladen, einmal von 24 Marmeladen konfrontiert. Interessanterweise kauften deutlich mehr Kunden bei der kleineren Auswahl tatsächlich ein Glas Marmelade. Bei der größeren Auswahl gingen wesentlich mehr Kunden ohne einen Kauf am Probierstand vorbei.

Tatsächlich ist es nämlich nicht so, dass eine größere Auswahl für den Menschen unbedingt besser ist. Im Gegenteil wird er dadurch sogar zusätzlich verwirrt und aus dem Konzept gebracht. Dieses Phänomen bezeichnen die Wissenschaftler als Entscheidungs-Paradoxon oder eben paradox of choice.

Die wesentlichen Probleme durch zu große Auswahl

Durch eine zu große Auswahl entstehen verschiedene Probleme für den Menschen. Die beiden wichtigsten sind die Folgenden.

Angst vor Fehlentscheidungen

Je größer die Auswahl, desto größer die Angst, eine Fehlentscheidung zu treffen. Dadurch zieht sich der Entscheidungsprozess unwahrscheinlich in die Länge. Wir wägen länger ab, versuchen noch genauere Kategorien für unsere Entscheidung zu definieren und werden uns immer unsicherer. So gesehen führt mehr Auswahl zu größerem Leidensdruck auf dem Weg zur Entscheidung.

Gerade, wer bei seinen Entscheidungen nach Perfektion strebt, hat bei vielen Möglichkeiten also ein Problem. Je größer die Auswahl wird, je mehr Marmeladen sich im Regal befinden, desto länger wird er für die Entscheidung brauchen. Dies kann dann so weit gehen, dass er eben überhaupt keine Marmelade kauft, aus unterbewusster Angst davor, die falsche zu wählen. Aber auch wer sich entscheidet, kann noch mit weiteren Nachteilen durch die vielen Möglichkeiten zu kämpfen haben.

Größere Unzufriedenheit nach der Entscheidung

Sogar wenn man dann eine Auswahl getroffen hat, zeigt sich, dass wir bei größerer Auswahl tendenziell unzufriedener sind, als wenn wir nur eine kleinere Auswahl zur Verfügung haben. Es ist ja auch irgendwie logisch: das „Wer weiß, was hätte sein können“ ist natürlich wesentlich präsenter, wenn es viel mehr Eventualitäten gibt. Wer aus 24 Marmeladen eine bestimmte für sich aussucht, entscheidet sich automatisch gegen alle anderen 23 Marmeladen.

Das Entscheidungsparadoxon im Lehrer-Alltag

Vielleicht hast du schon erkannt, warum ich auf meinem Blog über Zeitmanagement und Selbstmanagement für Lehrer plötzlich über Marmelade schreibe. Das Entscheidungs-Paradoxon hat nämlich tatsächlich auch etwas mit unserem Beruf zu tun. Denn gerade Lehrer haben tagtäglich viele Entscheidungen zu treffen. Im Folgenden gehe ich vor allem darauf ein, wie eine größere Auswahl dich bei der Unterrichtsplanung behindern kann.

Warum es immer schwieriger wird, Entscheidungen zu treffen

Die Parallele zu den Marmeladengläsern ist bei der Unterrichtsplanung recht schnell gezogen. Wenn du dich im Internet umsiehst, kannst du dich sehr bald nicht mehr vor der Fülle an Unterrichtsideen retten. Seien es Methoden, Arbeitsblätter, Projekte, wichtige Sozialkompetenzen, Lektüren oder Sitzordnungen, ständig musst du als Lehrer Entscheidungen treffen.

Da ich aus einer Art „Lehrer-Dynastie“ komme, wird mir dieses Problem bei verschiedenen Gesprächen immer wieder bewusst. Mein Großvater hatte in seinen ersten Klassen genau ein Buch für den Mathematik-Unterricht. Entweder er benutzte dieses Buch oder dachte sich selbst Aufgaben aus, die er an die Tafel schrieb. Er kam daher gar nicht in die Verlegenheit, sich zwischen den verschiedenen Darreichungsformen der Schulbuchverlage, der Materialien in Arbeitsheften oder dem Internet zu entscheiden. Dafür hatte er dann auch Schüler aus acht Jahrgangsstufen gleichzeitig in einem Raum zu unterrichten, also denke ich, dass es ihm nicht an Herausforderungen gemangelt hat.

Worauf ich hinaus will: Ich bin mir sicher, dass sich die Lehrer damals nicht den Kopf zermartern musste, welche der „150 Sozialformen für kompetenzorientierten Unterricht“ (fiktiver Buchtitel) die passende für diese eine Unterrichtseinheit sein könnte. Dementsprechend hatte er auch keine großen Probleme, sich gegen 149 Sozialformen zu entscheiden.

Ich rate damit natürlich nicht davon ab, sich über seine Unterrichtsgestaltung Gedanken zu machen. Allerdings habe ich in Gesprächen mit vielen Kollegen schon das gleiche Problem feststellen können: die Suche nach dem passenden Unterrichtsmaterial zieht sich teilweise unglaublich in die Länge. Der Grund ist die gigantische Auswahl.

Ich wiederhole noch einmal die Aussage aus der Einleitung. „Ich wollte nur mal schnell einen Zeitungsartikel für den Einstieg suchen, plötzlich waren zwei Stunden rum und ich habe doch den Artikel vom Anfang genommen.“ Kommt dir das bekannt vor? Grund ist oft das Weitersuchen, Weiterklicken, dazu noch ein anderes Suchwort ausprobieren usw. Es ist so schwer, sich zufrieden zu geben, wenn wir da draußen im weltweiten Netz noch so viele unentdeckte Schätze vermuten.

Auswege aus dem Entscheidungs-Paradoxon

Es gibt bei der Unterrichtsplanung ein paar relativ einfache Tricks, wie man das Entscheidungs-Paradoxon ausschalten kann.

Nur drei Alternativen suchen

Es ist kein Zufall, dass beispielsweise bei Online-Angeboten immer drei Preisvarianten angezeigt werden. Der Mensch ist am entscheidungsfreudigsten, wenn er drei Angebote zur Verfügung hat. Er hat damit eine ausreichende Auswahl und kann zudem verhältnismäßig einfach zwischen den Vor- und Nachteilen der drei Möglichkeiten abwägen.

Daher mein Tipp: Wende dieses Wissen beispielsweise bei deiner Suche nach Arbeitsmaterial an. Suche drei passende Arbeitsblätter und dann höre auf zu suchen, auch wenn das perfekte noch nicht dabei war. Das perfekte Material ist vielleicht noch irgendwo da draußen in den Untiefen des Internets verborgen, aber vermutlich nicht. Spare dir die Zeit und arbeite mit dem, was da ist.

Was für Arbeitsmaterial anwendbar ist, gilt auch für viele andere Bereiche, wie Lektüren, Weihnachtsmarkt-Basteleien oder auch Arbeitsformen. Überlege dir drei Alternativen und wähle die beste aus, im Zweifelsfall machst du dich bei der Weitersuche nur selbst unglücklich und schaffst auch kein besseres Ergebnis.

Zeitlimits setzen

Um sich selbst vor zu vielen Alternativen zu schützen, hilft es auch, seine Recherchezeit zu begrenzen. Das Parkinsonsche Gesetz besagt zudem, dass du immer so lange brauchst, wie du dir selbst erlaubst zu brauchen. Wenn du also gefährdet bist, viel zu lange nach Alternativen zu suchen, dann setze dir ein Zeitlimit für deine Recherche. Kombiniert mit der vorherigen Technik kannst du dir so Stunden um Stunden an Zeit sparen, ohne dass dein Unterricht wirklich schlechter wird.

Ansprüche herunterschrauben

Zu guter Letzt solltest du dir auch klar machen, dass der perfekte Unterricht zwar ein schönes Ziel ist. Dieses ist jedoch mit hohen Kosten verbunden. Zudem ist der Vorteil für deine Schüler oft nur marginal und steht meist in keiner Relation zu deinem Aufwand. Das Pareto-Prinzip erläutert genauer, warum: Die letzten 20 % deines Erfolges benötigen 80 % der Zeit.

Wenn du es schaffst, deine eigenen Ansprüche an deinen Unterricht herunterzuschrauben, kannst du also sehr wohl guten Unterricht halten und bist wesentlich weniger lange beschäftigt. Wäre das nicht hervorragend?

Das kannst du sofort umsetzen

Achte bei der nächsten Unterrichtsplanung genau darauf, wann du Entscheidungen zu treffen hast. Wende dann eine der der drei Techniken an, die ich im vorherigen Abschnitt erläutert habe. Du wirst sehen, dass dein Unterricht nicht darunter leiden wird und du wesentlich schneller bei deiner Arbeit bist.

Lass mich von deinen Erfolgen wissen und teile deine Erfahrungen. Hinterlasse einen Kommentar über deine Erfahrungen mit dem Entscheidungs-Paradoxon.

Bis zum nächsten mal.

Und vergiss nicht: Auch Lehrer haben ein Recht auf Zeit.

Basti


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