Das System ist schuld (Lehrer-Lügen 2)

von Basti  

Juli 16, 2017

„Ich muss so viel arbeiten, das bringen der Job und das System so mit sich. Bürokratie, Eltern und Chefs machen es nur noch schlimmer.“ Hast du, so wie ich auch, diesen Satz schon einmal so ähnlich verwendet? Wenn du diesen Artikel gelesen hast, wirst du hoffentlich meiner Meinung sein, dass man es sich nicht so einfach machen sollte. So dargestellt handelt es sich in meinen Augen um eine Lüge, auf die man als Lehrer immer wieder hereinfällt.

Zur Erinnerung:

Lehrer-Lüge 1: Je weniger Arbeit, desto schlechter der Lehrer.

Das System ist schuld – Was ist dran?

Man ist schnell damit, die eigenen Probleme auf das bestehende Umfeld und System zu schieben. Vor allem ist dieser Gedanke ja auch nicht ganz abwegig. Natürlich bringt der Lehrer-Beruf Unmengen an teilweise fragwürdigem Schreibkram mit sich. Besorgte Eltern können so manchem Lehrer enormen Stress verursachen. Schulämter und Vorgesetzte können mit verschiedenen Verordnungen und Zusatzaufgaben durchaus noch Öl ins Feuer gießen.

Es kann also, gerade in sehr turbulenten Zeiten des Schuljahres der Fall sein, dass die äußeren Umstände den Stress unglaublich erhöhen. Die Freizeit wird immer geringer, Freunde, Familie und Hobbies werden vernachlässigt. Zusätzlich verstärken vermehrte negative Erfahrungen den Frust und das innere Gefühl, ausgeliefert zu sein.

Ist es wirklich so einfach?

ABER: Ich finde man macht sich das Leben zu einfach, wenn man sein Leid auf die äußeren Umstände abschiebt. Das hat zwar durchaus etwas Bequemes: das kaputte System kann ich nicht verändern, also kann ich es mir in meiner aktuellen Situation (un-)bequem machen.

Wer jedoch vor einem System kapituliert, verpasst die Chance, selbst etwas an seiner Situation zu ändern. Und es gibt, gerade im Bereich der Arbeitszeit- und Stressregulierung, eine Menge, was man selbst tun kann. Daher ist der Glaubenssatz „Das System ist schuld – ich kann nichts verändern“ falsch.

Falsche Annahmen und wie du sie verändern kannst

Es gibt also bestimmte Probleme im Lehreralltag, die wir manchmal als gegeben und unveränderbar hinnehmen. Das muss nicht so bleiben. Sicher wird dir auch die eine oder andere dieser Aussagen bekannt vorkommen. Aber müssen wir sie wirklich als wahr akzeptieren?

Ich möchte dir hier ein paar einfache Beispiele für Veränderungen zeigen, die tagtäglich das Leben des Lehrers vereinfachen. Gib dich also nicht der Lüge hin, das System mache Stressfreiheit unmöglich. Du selbst hast es in der Hand. Wie immer liste ich hier nur ein paar meiner Ideen auf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

1. „Ich MUSS so viel Unterricht vorbereiten“

Sofern noch nicht geschehen, lies meinen Artikel  zur Lehrerlüge 1: Je mehr… Zusätzlich hier noch ein paar weitere Denkanstöße, wie du diesen falschen Glaubensgrundsatz ändern kannst.

Wähle deine Ziele genau aus

Wenn du dir am Anfang deiner Planung klar machst, wo sie hinführen soll, wird auch der Weg dorthin kürzer. Beginne damit, dir deine Unterrichtsziele klar und deutlich zu notieren. Bestimme dann einen einfachen und effektiven Weg dorthin.

Nutze das Pareto-Prinzip

Eine Auswahl an sinnvollen Zielen und Methoden zu treffen ist nicht immer einfach. Mit dem Pareto-Prinzip im Hinterkopf eliminierst du überflüssiges und konzentrierst dich auf das Wesentliche. Nur zu oft verzetteln wir uns nämlich in überflüssigen Tätigkeiten, verlieren Zeit und brauchen eine Ewigkeit für unsere Planung.

Nicht jede Stunde muss perfekt sein

Mach dir klar, dass du nicht in jeder Stunde der Woche Perfektion abliefern kannst. Suche dir besondere Stunden aus, die du dann auch mit größerer Hingabe ausarbeitest. Der Rest kann auch normal laufen. Gewöhne dir zudem den Mut zur Lücke an und nutze die hohe Kunst der Improvisation.

Probiere zeitsparende, aber effektive Methoden

Nicht immer ist die Stationenarbeit die beste Methode zur Erarbeitung eines Ziels. Versuche dir klar zu machen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, wenn es mal schneller gehen muss. Vielleicht hat auch das Schulbuch gute Differenzierungsmaßnahmen? Können die schwachen Schüler durch die starken Schüler der Klasse unterstützt werden? Können die schnellen Schüler sich gegenseitig Aufgaben erstellen? Es gibt unzählige Möglichkeiten für kreativen Unterricht, der wenig Zeit kostet, aber sehr effektiv ist. Man muss sie nur ausprobieren.

2. „Ich MUSS zu umfangreiches Schriftwesen abliefern“

Wer liest das überhaupt?

Beim Schriftwesen kannst du dir immer zuerst überlegen, wer das überhaupt lesen wird. Handelt es sich nämlich um Schreibkram, der sowieso nur irgendwo abgeheftet wird um dann zu verrotten, lohnt sich übermäßiger Aufwand absolut nicht. Überlege also gut, worin du Arbeit investieren möchtest. Manche Dinge erledigt man besser schnell und ohne zu viel des Überdenkens, da sie eh niemanden interessieren.

Das Rad nicht neu erfinden

Eigentlich hast du jeden Schreibkram schon einmal erledigt. Überlege also immer, ob du schon eine Vorlage oder ein altes Exemplar abgespeichert hast, das du nur noch ein wenig anpassen oder verändern musst. Verwende vorhandenes Material wieder, da du dir sonst die Arbeit doppelt machst. Du hast dir früher schon genug Gedanken dazu gemacht.

Gibt es Hilfsmittel?

Für manchen Schreibkram gibt es kostenlose oder zumindest kostengünstige und lohnende Hilfsmittel. Ich denke dabei an Zeugnisformulierungen. Hier kannst du beispielsweise recht flott eine schöne Zeugnisformulierung erstellen. Zeugnisprogramme gibt es zudem zuhauf auch kostenpflichtig und sicher nicht alle schlecht. Warum sollte man solche Hilfsmittel verteufeln?

Auch für Elternkorrespondenz oder Elternbriefe gibt es unzählige Vorlagen, die man im entsprechenden Fall schnell findet. Wichtig dabei: leicht wiederauffindbar am PC speichern, um später darauf zurückgreifen zu können.

3. „Ich MUSS ständig korrigieren“

Erstelle einfach korrigierbare Arbeiten

Oft zahlt es sich aus, eine gut durchdachte Prüfung zu erstellen. Gerade bei unklaren und schwammigen Formulierungen erhöht sich der Arbeitsaufwand der Korrektur enorm. Das Erstellen einer Prüfung sollte daher durchaus Zeit in Anspruch nehmen, die sich später wieder auszahlt.

Abgesehen davon gibt es auch Möglichkeiten für die Erstellung einfach korrigierbarer Aufgabenformate. Warum nicht auch mal eine gut durchdachte Multiple Choice Aufgabe dazwischen werfen? Warum keine klar zu beantwortenden Fragen stellen? Trotz aller Kompetenzorientierung darf eine Prüfung trotzdem korrigierbar bleiben.

Nicht alles korrigieren

Gerade was das Prüfen von Schülerheften angeht, gibt es einfache Möglichkeiten, den Korrekturaufwand zu verringern. Wie wäre es beispielsweise, in einer konzentrierten Arbeitsphase der Schüler nebenbei fünf Hefte zu korrigieren? Mache das regelmäßig und du kannst dir sparen, die Hefte mit nach Hause zu nehmen.

Schülern beibringen, sinnvoll mit Lösungen zu arbeiten

Eine enorme Zeitersparnis kann es sein, die Fähigkeit der Schüler zu verbessern, sich selbst zu korrigieren. Dabei muss am Anfang recht viel Arbeit investiert werden, die sich aber langfristig auszahlt. Es ist eine unwahrscheinliche Erleichterung, wenn die Schüler ihre eigenen Arbeiten mit den Lösungen kontrollieren und selbst nach ihren Fehlern suchen. Logischerweise klappt das nicht so einfach bei Prüfungen, nimmt dir aber trotzdem einen großen Teil der Verantwortung des täglichen Geschehens ab. Wenn du dich darauf verlassen kannst, dass die Schüler selbst ihre Fehler finden, kann dir das eine große Menge an Nachkorrektur ersparen.

4. „Meine Zusatzpflichten kosten zu viel Zeit“

Es gibt ständig etwas zu organisieren oder zu veranstalten. Klassenfahrten müssen geplant, Schulfeste auf die Beine gestellt oder Berichte geschrieben werden. Aber auch hier ist nicht alles in Stein gemeißelt.

Nicht alles muss perfekt sein

Auch bei Schulfesten oder Berichten solltest du dir immer klar machen: Nicht alles muss perfekt sein, sondern gut und zweckmäßig. Sich bei der Deko verausgaben, bringt den Schülern oder Eltern vermutlich nicht in dem Maße mehr Spaß, wie es dich Zeit kostet. Die Berichte werden auch gelesen, wenn sie nicht von Goethe formuliert wurden. Finde die sinnvolle Arbeitsdosis.

Arbeite im Team

Hol dir jemanden ins Boot, der dir beiseite steht. Teilt euch Organisationsarbeiten auf. Lest gegenseitig Korrektur oder verlagert die Designarbeiten an jemanden, der es besser und schneller kann. Trau dich einfach, nachzufragen.

Sag nein

Wenn du dazu neigst, dir zu viel aufzuhalsen, wird es Zeit, etwas daran zu ändern. Lerne, nein zu sagen und ohne schlechtes Gewissen auch auf dich selbst zu achten. Es bringt nichts, wenn du dir zu viel zumutest.

Dein neuer Glaubenssatz

„Das System ist Mist“ hilft dir genauso wenig wie „Die anderen sind schuld.“ Es wird Zeit für einen neuen Glaubenssatz, für ein neues Mantra, eines, dass dir auch zu Veränderungen hilft. Sich seinem Schicksal zu ergeben, hat noch niemandem etwas gebracht.

Ich schlage dir den folgenden Glaubenssatz vor:

Ich selbst tue alles, um meine Situation so gut es geht zu verbessern.

Ich glaube, das ist wesentlich hilfreicher als Verzweiflung über das kaputte System. Schließlich haben wir viele Veränderungen selbst in der Hand. Wir können nicht alles ändern, aber oft reicht schon das bisschen aus.

Das kannst du sofort umsetzen

Wieder einmal bekommst du von mir einen Schreibauftrag. Denn wie immer machst du dir beim Schreiben sehr viel mehr Gedanken als beim reinen Überlegen.

  1. Welche Umstände kannst du verändern, welche nicht?

Schreibe dir dies genau auf und sei dabei wirklich ehrlich. Überlege ganz genau, ob du die Umstände wirklich nicht verändern kannst. Schreibe eine Liste und überdenke diese Liste noch einmal.

  1. Beginne mit der Veränderung

Suche dir jetzt sofort einen Umstand aus, den du als erstes verändern willst. Nur einen. Überlege dir dann einen Schlachtplan, eine Next-Step-Liste zur Umsetzung. Verwende meine oben genannten Ideen. Du wirst die Erfolge sehr bald merken.

Schlusswort

Ich habe diesmal erstaunlich lange für diesen Artikel benötigt, da er ein recht sensibles Thema anspricht. Umso gespannter bin ich auf dein Feedback. Denkst du, du kannst etwas an deinem Arbeiten verändern? Oder findest du das System zu erdrückend? Ich hoffe sehr, von deiner Meinung zu lesen, gerne auch als Email.

Bis zum nächsten mal.

Und vergiss nicht: Auch Lehrer haben ein Recht auf Zeit.

Basti

 

 

 


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