Lehrer-Lügen (1) – Je weniger Arbeit, desto schlechter der Lehrer

von Basti  

Juli 2, 2017

In den nächsten Wochen möchte ich über die größten Lehrer-Lügen im Bezug auf Lehrer und ihr Zeitmanagement eingehen. Bei diesen Glaubenssätzen handelt es sich um teilweise fest verankerte Meinungen und Einstellungen, die Lehrer zu ihrem Beruf haben. Anstatt jedoch im Lehrer-Alltag zu helfen, stehen diese Grundsätze einem entspannten, frohen und glücklichen Arbeitsleben zumeist sehr im Weg.

Ich werde dabei erklären, warum diese Werte in meinen Augen falsch sind und welchen alternativen Glaubenssätzen man sich stattdessen verpflichten sollte. Mir ist klar, dass einige meiner Aussagen nicht nur mit massiver Zustimmung belohnt werden. Trotzdem ist es mir ein Bedürfnis, darauf einzugehen.

Lüge 1: Je weniger Arbeit, desto schlechter der Lehrer

Ich beginne mit diesem Glaubensgrundsatz, weil er für mich eines der größten Probleme des Lehrerdaseins darstellt. Vor allem junge Lehrer haben einen hohen Anspruch an sich selbst und ihren Unterricht. Dieser lässt sich oft nur durch ein hohes Arbeitspensum erfüllen.

Das Gefühl, wenig Arbeit führt automatisch zu schlechtem Unterricht, ist bei vielen Lehrern verbreitet. Oft wird es einfach als gegeben als Teil des Berufs betrachtet. Ich denke aber, dieser Glaubensgrundsatz ist falsch. Ich bin nicht überzeugt, dass guter Unterricht automatisch Arbeiten bis über die Belastungsgrenze erfordert.

Nicht nur für junge Lehrer ein Problem

Nicht nur junge Lehrer sind von diesem Problem betroffen. So gibt es nicht wenige, die auch mit 50+ noch nächtelang basteln und sich in Differenzierungsmaßnahmen verlieren.

Ich will damit nicht sagen, dass das Erstellen von Arbeitsmaterial etwas Schlechtes sind, natürlich nicht. Sie sind ein essentieller Bestandteil des Lehrerdaseins, je nach Schulart und Person natürlich unterschiedlich ausgeprägt. Auch will ich nicht dazu aufrufen, auf gute Unterrichtsvorbereitung zu verzichten. Aber: es darf in meinen Augen kein direkter Zusammenhang zwischen Unterrichtsqualität und betriebenem Aufwand hergestellt werden.

Immer das schlechte Gewissen

Trotzdem haben viele Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht Perfektion leisten. Sie haben das Gefühl, den Schülern nicht gerecht zu werden, den Ansprüchen der Gesellschaft nicht zu entsprechen. Wie kommt es dazu, dass man sich für geringen Arbeitsaufwand schämt? Und zuerst: Warum soll der Glaubensgrundsatz eigentlich eine Lüge sein?

Warum der Glaubensgrundsatz falsch ist

Es geht auch anders

Kennst du den Kollegen, der im Sommer jeden Tag am See anzutreffen ist, der scheinbar nie etwas korrigiert oder kopiert, der aber trotzdem von Eltern und Schülern geschätzt wird? Fragst du dich oft: „Wie macht er das? Warum kann ich nicht so sein?“

Offensichtlich gibt es  nicht wenige Lehrer, die sich nicht zu Tode arbeiten und trotzdem guten Unterricht ableisten können. Vollbringen diese Lehrer Unmenschliches, haben sie Superkräfte? Oder haben sie nur verstanden, dass sie sich nicht kaputt arbeiten müssen, um ihre Ziele zu erreichen?

Auf jeden Fall kann man sich eine erste Lehre daraus ziehen: Es geht auch anders. Wenn es Möglichkeiten gibt, in weniger Zeit guten Unterricht zu halten, dann sollte man sich auch nicht davor verschließen. Was kannst du von deinen Kollegen lernen, die es richtig zu machen scheinen?

Burnout bei Lehrern

Wie ein Damokles-Schwert schwebt er über dem Lehrer: Der Burnout. Und nicht wenige sind gefährdet, so viel ist sicher. Nun stellt sich die Frage: Wieso haben Lehrer Angst vor dem Burnout und trotzdem ein schlechtes Gewissen, wenn sie weniger arbeiten?

Hier zeigt sich, wie gefährlich diese erste Lüge für den Lehrer sein kann. Trotz besseren Wissens verleitet sie dazu, sich sehenden Auges in den unfreiwilligen Vorruhestand zu arbeiten. Das kann nicht Sinn und Zweck des Ganzen sein. Wer sich also gefährdet sieht, sich langsam aber sicher einen netten Burnout zu erarbeiten, sollte ganz dringend überprüfen, ob er an diese erste Lehrer-Lüge glauben möchte.

Wie sonst erhöhst du deinen Stundenlohn?

Ja, da kommt jetzt wieder der Wirtschaftler in mir durch. Ich bin überzeugt, dass ich gut in meinem Beruf bin und er macht mir auch Freude. Trotz allem darf man in meinen Augen nicht vergessen, dass ein Beruf immer auch zum Geld verdienen da ist.

Und da ist ein Gedanke interessant: In der freien Wirtschaft kann durch geschicktes Verhandeln und harte Arbeit der Stundenlohn erhöht werden, beispielweise durch eine Beförderung. Lehrern steht diese Möglichkeit nur sehr eingeschränkt zur Verfügung und nicht jeder möchte Rektor werden.

Um deinen Stundenlohn zu erhöhen, bleibt dir also nur eines übrig: Effizienter arbeiten. Ein lediger, angestellter Vollzeit-Lehrer  an einer bayerischen Mittelschule verdient im Monat ca. 2000 € (netto). Arbeitet er 50 Stunden in der Woche für 4,5 Wochen im Monat so kommt er auf einen Stundenlohn 8,90 €. Nun gut, wir haben dafür Ferien, aber damit gebe ich mich nicht zufrieden.

Ich möchte mehr Geld für meine Arbeitsstunde haben und ich schäme mich auch nicht, das zu sagen. Daher ist für mich effizientes Arbeiten einfach nicht aus meinem Berufsalltag wegzudenken. Ich möchte, dass sich meine Arbeit lohnt, sonst fühle ich mich nicht am richtigen Platz und verliere die Freude daran. Mittlerweile bin ich auch in der Lage, das vor anderen Menschen ehrlich zuzugeben.

Ursachen der ersten Lüge

Das Referendariat als Niedermacher

Ich glaube, ein unwahrscheinlich großes Problem vieler Lehrer ist, dass sie nie gelernt haben, ökonomischen Unterricht zu halten. Im Referendariat wird Perfektion erwartet. Kaum ein Seminarlehrer stellt sich mit Alltagsstunden zufrieden, von Anfang an wird an jeder Kleinigkeit gefeilt und getüftelt. Wer nicht leistet, wird leider nur zu oft niedergemacht und für minderwertig erklärt.

Wenn es dir nicht so gegangen ist, dann kennst du sicher trotzdem genug Kollegen, die diese Erfahrung gemacht haben. Den Druck des Referendariats stecken nur wenige so ohne Weiteres weg. Bereits während des Vorbereitungsdienstes wird so die erste Lüge in unser Gehirn gepflanzt: nur Perfektion ist ausreichend, je weniger Arbeit, desto schlechter der Lehrer.

Ich für meinen Teil musste nach dem ersten Seminarjahr von meinem Betreuungslehrer erst einmal ein halbes Jahr aufgebaut werden, bevor ich wieder ein einigermaßen richtiges Bild von meinem Unterricht hatte (danke dafür, lieber Reiner). Heute kann ich mit Überzeugung sagen: Ich mache guten Unterricht, ohne mich dafür kaputt arbeiten zu müssen.

Lehrer im Kreuzfeuer der Medien

Die Bildzeitung war kürzlich so „freundlich“, eine praktische Empfehlung für Eltern auszusprechen. Sollte der Lehrer das Handy des Schülers kontrollieren, sei es „am einfachsten, eine Dienstaufsichtsbeschwerde bei der zuständigen Schulbehörde“ abzugeben. Dieser Artikel zeigt in meinen Augen ein großes Problem in unserer Gesellschaft: bei vielen Menschen hat der Beruf Lehrer einen furchtbaren Ruf.

Das offenbart sich nur zu oft in den Medien, auch wenn ich in den letzten Jahren zumindest ein bisschen Besserung fühle. Und natürlich: wenn ich unter einem Lehrer-Artikel auf Spiegel-Online verschiedene Hasskommentare lesen muss, zieht sich auch mir der Magen zusammen. Die Meinung mancher Menschen über unseren Beruf ist niederschmetternd.

So ist es oftmals nur verständlich, dass man diesen Leuten nicht noch mehr Stoff für ihren Hass liefern möchte. „Ich bin nicht so, wie du es dir vorstellst.“ Dies kann dazu führen, seinen Arbeitsaufwand nochmal zusätzlich nach oben zu schrauben.

Die lieben Kollegen

Jeder kennt die verschiedenen Kollegen, die schon morgens vor der ersten Tasse seufzend und jammernd das Lehrerzimmer betreten.  Es folgt das obligatorische „Ich bin so müde“ und „Ich kann nicht mehr,“ oftmals auch ein „Wieso muss eigentlich immer ich alles machen?“

Es kann sich das fatale Gefühl einschleichen, man selbst wäre ein schlechter Mensch, weil man so wenig arbeitet, während andere doch so schuften müssen. Gerne übersieht man dabei, dass dieser Kollege möglicherweise ein falsches Bild von sich selbst hat, unorganisiert ist oder vielleicht einfach nur gerne jammert. Vielleicht sollte er auch nur lernen, Nein zu sagen. Jedenfalls kann es fatal sein, von der vielen Arbeit anderer Kollegen Rückschlüsse auf sich selbst zu ziehen.

Welche Glaubenssätze sollten stattdessen gelten?

Zu erläutern, warum dieser Grundsatz eine Lüge ist, reicht noch nicht aus, um etwas zu verändern. Stattdessen solltest du dir überlegen, wie du stattdessen über deine Arbeitszeit denken könntest. In meinen Augen ist es sehr sinnvoll, sich als Lehrer an die folgenden drei  Glaubensgrundsätze zu halten.

1. Ich darf effizient arbeiten

Effizient arbeiten bedeutet, mit möglichst wenig Arbeit einen möglichst hohen Ertrag zu erhalten. Auf Lehrer umgemünzt: Schaffe möglichst hohen Lernerfolg mit möglichst geringem Arbeitsaufwand. Gestehe dir ein, dass es durchaus möglich ist, große Erfolge zu erzielen, ohne sich zu überarbeiten.

Wie schaffst du das? Indem du klare Prioritäten setzt. Triff Entscheidungen: Was muss sein, was kann sein, was braucht es nicht? Mach dir klar, dass nicht alle Ziele erfüllt werden können. Sondiere genau, wann differenziert werden muss, ob du zusätzliches Arbeitsmaterial brauchst oder das vorhandene ausreichend ist.

Wann ist Perfektionismus angebracht, wann ist er hinderlich? Entscheide dich bewusst gegen bestimmte zeitfressende Tätigkeiten, wenn sie doch eigentlich kaum mehr zum Lernerfolg beitragen. Sorge für ein störungsfreies Umfeld, um deine Arbeit schneller und effizienter durchführen zu können.

Zum effizienten Arbeiten solltest du beispielsweise diese Artikel gelesen haben:

2. Ich habe ein Recht auf Zeit

Mach endlich Schluss mit dem schlechten Gewissen. Niemand, wirklich niemand hat etwas davon, wenn du dich kaputt arbeitest. Und es kann dir auch egal sein, was Nicht-Lehrer über dich denken. Fakt ist: wer nicht will, wird eh nicht nachvollziehen können, was du tagtäglich leistest.

Du hast ein Recht darauf, effizienter zu werden und mehr Freizeit zu haben. Du bist weder faul, noch ein schlechter Lehrer, nur weil du mit wachsender Erfahrung und besserem Zeitmanagement weniger Arbeit hast. Wer der Meinung ist, Lehrer liegen nur herum und schlafen, darf sich gerne selbst um eine Stelle bewerben, wir haben ja schließlich Lehrermangel.

3. Je entspannter ich bin, umso besser ist mein Unterricht

Die Erfahrung zeigt: Schüler sind sehr sensibel was die Stimmung ihrer Lehrer angeht. Sie spüren, ob ein Lehrer gestresst oder entspannt ist. Ein gestresster Lehrer färbt auf seine Schüler ab.

Zumindest mir waren meine entspannten Lehrer immer lieber, als gehetzte und unausgeschlafene Stresswesen. Je ausgeglichener du bist, umso relaxter kannst du deinen Unterricht gestalten. Du bist ruhiger, kannst in Stresssituationen vernünftiger entscheiden und verströmst einfach eine andere Grundstimmung.

Ich bin überzeugt, dass ein entspannter Lehrer besser unterrichten kann, als sein dauergestresster Kollege. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.

Zusammenfassung

„Weniger Arbeit = Schlechter Lehrer“. Dies ist eine Lüge, an die leider viele Lehrer glauben. Dieser falsche Glaubenssatz hat aber zumeist keine Berechtigung. Daher solltest du aufhören, ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn du deine Arbeit effizienter gestalten möchtest. Auch Lehrer haben ein Recht auf Zeit.

Das kannst du sofort umsetzen.

  1. Miss deine Arbeitszeit und mache dir klar, ob du deinen Stundenlohn gerecht findest.
  2. Überdenke genau, ob es dir einen Vorteil bringt, wenn du weiter an diesem Glaubenssatz festhältst. Macht er dein Leben besser? Vermutlich nicht. Bringt er deinen Schülern Vorteile? Vielleicht, aber nicht im vertretbaren Maß. Möchtest du dich kaputt arbeiten? Ich hoffe nicht.
  3. Wähle einen neuen Glaubenssatz, gerne einen meiner drei Vorschläge. Verpflichte dich für diesen Glaubenssatz.
  4. Mache den neuen Glaubenssatz sichtbar. Hänge ihn dir beispielsweise an den Schreibtisch, mache ihn dir zum Desktop-Hintergrund oder als Bild auf das Smartphone.
  5. Sprich dir den neuen Glaubenssatz mehrmals täglich vor, z.B. auf dem morgens vor dem Spiegel, im Auto auf dem Weg zur Arbeit oder abends vor dem Schlafen.

Schlusswort

Ich hoffe es ist klar, dass ich hiermit nicht zur Faulheit aufrufe, sondern zu mehr Achtsamkeit für ein gesünderes und stressfreieres Leben. Alles in allem sollte die Arbeit mit den Kindern nämlich Spass machen und nicht vom Arbeitsstress vermiest werden. Ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass guter Unterricht sehr wohl auch mit überschaubarem Arbeitsaufwand möglich ist.

Schreibe einen Kommentar, wenn du meiner Meinung bist, aber auch, wenn es nicht so sein sollte. Ich denke, dieser Glaubenssatz kann zu einiger Diskussion führen und es kann eine große Herausforderung sein, sich davon abzuwenden. Lass mich von deiner Meinung hören!

Bis zum nächsten mal.

Und vergiss nicht: Auch Lehrer haben ein Recht auf Zeit.

Basti


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  • Interessanter Artikel, dem ich von Herzen zustimmen kann.
    Nachdem ich ein Burnout im Ref hinter mie habe, habe ich gelernt, dass es anders gehen muss – und geht! Ich habe tatsächlich genau das getan, was du empfielst und mir ausgerechnet, wie lang ich jeden Tag arbeiten muss. Klar sitze ich oft trotzdem länger – aber ich habe jetzt kein schlechtes Gewissen mehr, Korrekturen auch mal liegen zu lassen. Und die Reaktion von Eltern, Schülen und Kollegen? Da hat sich noch keiner beschwert, dass mein Freiarbeitsmaterial nicht laminiert ist, Korrekturen auch mal nen Tag länger dauern oder ich Bilder erst im Unterricht an die Tafel skizziere statt zu Hause auszudrucken. Ich entscheide jetzt halt oft: Brauche ich das wirklich? Ist das jetzt wichtig? Möchte ich das eigentlich?

    • Hallo Hanna,
      du kannst dich glaub ich sehr glücklich schätzen, etwas aus dem Burnout gelernt zu haben. Schön, dass es dir nun besser geht. Wie du schreibst, geht es eben genau darum, sich zu überlegen, welche Arbeit wirklich Mehrwert bringt und welche nicht. Hast du noch weitere Ideen, die du hier gerne teilen möchtest? Ich glaube, von (ehemaligen) Betroffenen kann man am meisten lernen.

      Danke für deinen Kommentar und liebe Grüße

      Basti

  • Ein wirklicher guter Artikel. Vielen Dank dafür.
    Besonders für mich als Junglehrer ist es oft schwer mir Zeit für mich zu nehmen und auch mal Dinge so zu lassen wie sie sind. Ich hoffe das mit der Erfahrung im Schulalltag auch noch mehr Gelassenheit kommt. Immerhin verändere ich mittlerweile nicht mehr jedes Arbeitsblatt und nehme es auch mal so wie es ist. Trotzdem fällt es mir unheimlich schwer, die Ansprüche die ich an mich selber stelle, herunter zu schrauben. Und genau diese Ansprüche sind mir im Referendariat eingetrichtert worden. Alles musste bunt, anschaulich, laminiert, differenziert und toll ausgearbeitet sein. Das ich dieses Pensum nicht halten kann habe ich schnell gemerkt. Trotzdem versucht man immer noch irgendwie daran festzuhalten. Und ja, diese Kollegen die man scheinbar nie am Kopierer sieht und bei denen trotzdem alles wuppt gibt es wirklich 🙂 Denen würde ich bezogen auf ihr Zeitmanagement gerne mal über die Schulter schauen.

  • Hallo,
    Danke für den tollen Artikel! Fasst sehr gut zusammen, was ich meiner Kollegin schon öfter zu erklären versuchte. Ich habe auch aufgehört mich dafür zu rechtfertigen, dass ich ja soll viel Ferien habe und da tatsächlich oft nichts für die Schule mache! Und ich glaube nicht dass mein Unterricht deshalb irgendwie schlechter ist als der meiner Kollegen!

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